Pflanzen werden als selbstverständlich wahrgenommen und oft gedankenlos behandelt. Als lebendige Wesen sollten man ihnen aber eigentlich Rechte zugestehen. Das klingt einfacher als es ist.

Die Frage nach der Würde und dem Wert nichtmenschlichen Lebens –und damit auch dessen Rechte – beschäftigt den Menschen bereits lange. Verschiedene Blickwinkel, wie spirituelle oder philosophische, liefern verschiedene Denkansätze.
Frühe Religionen sahen die gesamte Natur als heilig an. Ihre Götter offenbarten sich in Pflanzen und Tieren, an heiligen Plätzen wurde gefeiert und Zeremonien abgehalten. Dementsprechend wurde die Natur mit großem Respekt behandelt, man wollte die Götter ja nicht gegen sich aufbringen. Im Hinduismus gelten noch heute Bäume und Pflanzen als heilig, und diese zu schützen, ist die Pflicht eines jeden Hindus. Bäume zu pflanzen gilt als eine Möglichkeit, Gott einen Dienst zu erweisen, Bäume zu fällen dagegen ist ein Sakrileg. Auch im Jainismus gelten alle Lebewesen, auch Pflanzen, als beseelt. Der Buddhismus hingegen gesteht Pflanzen keine geistige Lebenskraft zu und schließt sie somit – im Gegensatz zu Tieren – vom Wiedergeburtsprozess aus.

Und die Bibel schließlich mit ihrer anthropozentrischen Schöpfungsgeschichte fordert den Menschen auf, sich die Erde untertan zu machen und über sie zu herrschen. Die christlichen Ordnung stellt den Menschen an die Spitze, gefolgt vom Tier und zum Schluss die Pflanze. Diese „natürliche“ Ordnung machte es der Etablierung des Tierschutzes in der christlichen Lehre nicht einfach. Wobei, durch die Leidensfähigkeit der Tiere wurde zumindest die Barmherzigkeit und das Mitgefühl gegenüber Schwächeren bemüht. Solange wir aber nicht wissen bzw. beweisen können, ob und in welchem Maße Pflanzen leidensfähig sind, gelangen wir mit dem Ruf nach Pflanzenrechten hier schnell in eine Sackgasse. Aber auch bei anderen Religionen, in denen Pflanzen höhere Stellenwerte haben, muss man sich fragen, inwieweit die Pflanze als Individuum geachtet wird oder nur aus Angst vor möglichen Nachteilen für den Menschen selbst.

Philosophische Betrachtungen

Doch auch abseits der Religionen hat man sich Gedanken über den Wert von Pflanzen gemacht. Bereits Aristoteles (384–322 v. Chr.) hat in seiner Schrift „De Anima“ („Über die Seele“) festgestellt, dass alle Lebewesen eine Seele besitzen, demnach auch Pflanzen. Allerdings stuft er das Seelenvermögen nach verschiedenen Kriterien ein, woraus sich eine Rangordnung wie im Christentum von Mensch–Tier–Pflanze ergibt. Die höchste Seelenkraft, „Nous“, was sich am ehesten mit Geist, Denken, Verstand umschreiben lässt, hat nur der Mensch.

Aber auch Philosophen der jüngeren Zeit beschäftigten sich mit Pflanzen. Immanuel Kant (1724–1804) sah zwar nur den Menschen als Verstandeswesen an, forderte aber die Achtung von Tieren und Pflanzen, auch ohne Absicht auf Nutzen. Allerdings galt diese Wertschätzung nicht den Tieren und Pflanzen selbst, sondern über Umweg wieder dem Menschen, der damit moralisch gut wird.

Verstand ist nicht alles

Die Projektion alleinig auf den Verstand funktioniert aber nicht mehr. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat man auch Tieren und Neugeborenen mangels „Verstand“ keine Rechte zugestanden. Heute ist der Tierschutz gesetzlich verankert und sogar Ungeborene haben Rechte. So wie wir die Leidensfähigkeit von Pflanzen nicht mit unseren Möglichkeiten begreifen können, können wir auch nicht über „Verstand“ von Pflanzen urteilen. Wer weiß, vielleicht ist in wenigen Generation der Schutz von Pflanzen als Einzelindividuum (nicht zu verwechseln mit dem Pflanzenschutz) genauso selbstverständlich wie heute der Tierschutz?

Zahlreiche andere Denker haben sich mit Ansätzen der Umweltethik beschäftigt. Darauf näher einzugehen, würde diesen Rahmen sprengen. Interessierten sei das 2001 im Kröner-Verlag erschienen Buch „Geschichte der Pflanzenseele“ von Hans Werner Ingensiep empfohlen. Er behandelt darin ausführlich philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart.

Bioautomat Pflanze?

Doch betrachten wir die Pflanzenwelt einmal praktisch. Ohne Pflanzen gäbe es kein Leben auf dieser Erde, wie wir es gewohnt sind. Pflanzen sind als einzige Lebewesen in der Lage, Photosynthese zu betreiben. Damit erzeugen sie den freien Sauerstoff in der Atmosphäre, den wir zum Atmen brauchen sowie die gesamte Energie für unsere Ernährung. Daneben nutzten und benutzen wir sie als Baustoff, Medizin, Energielieferant, Bekleidung, Genussmittel und für viele Dinge, die uns das Leben angenehmer und schöner machen. Die Pflanzen könnten sehr gut ohne den Menschen leben, wir können aber nicht ohne Pflanzen. Also Zeit für Pflanzenrechte?

Pflanzen in der Verfassung

Der „Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen“ hat es in diverse Verfassungsgesetze geschafft. Klingt ja schon einmal gut. Allerdings steht da wieder die Bedeutung für den Menschen (in künftigen Generationen) im Fokus und nicht die Pflanze als Individuum. Einen Schritt weiter ist die schweizerische Bundesverfassung von 1999 gegangen. Nach hitzigen Debatten und nicht ohne Kritik hat neben dem „Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt“, dem „Naturschutz“ sowie dem „Schutz der Tier- und Pflanzenwelt“ im Artikel 120 die „Würde der Kreatur“, die auch die Pflanzen mit einbezieht, Einzug in die Verfassung geschafft. In diesem Artikel geht es vorrangig zwar um den Schutz von Mensch und Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie, doch erstmalig wird auch Pflanzen Würde zugestanden. Da ist es ja dann zu den Rechten nicht mehr weit …

Rheinauer Thesen

Nach über zehn Jahren Diskussion wurden 2008 in Rheinau, Schweiz, von einer Gruppe von Wissenschaftlern, Philosophen, Landwirten und Pflanzenzüchtern aus der Schweiz, Deutschland und Österreich die Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen präsentiert. Diese 29 Thesen sind ein Versuch, Pflanzen mit mehr Respekt zu begegnen, sie in ihrem Eigensein zu respektieren und nach Grenzen gegen deren Instrumentalisierung zu suchen. Sie verweisen auf die gemeinsame Herkunft aller Lebewesen, die sich aus den zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen auf der Zellebene ableiten lässt. Forschungen belegen, dass Pflanzen über verblüffende Fähigkeiten verfügen und auf vielfältige Weise mit ihrer Umwelt aktiv interagieren und kommunizieren. Sie lernen aus Erfahrungen, können sich erinnern und haben ein Immunsystem. Vielleicht sind Pflanzen sogar empfindungsfähig. These 7: „Zu behaupten, Pflanzen hätten kein Empfindungsvermögen und könnten keine Schmerzen verspüren, ist so spekulativ wie die gegenteilige Behauptung“. Nach Meinung der Autoren sind Pflanzen weder Automaten noch langsame oder niedere Tiere, sondern eine eigene Lebensform. Sie verfügen über eine Art von Selbst und erleben die Welt auf ihre eigene Weise, die uns nur schwer zugänglich ist. Unser Wissen über sie ist beschränkt.

Von der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung der Rheinauer Thesen am 6. September 2008:

„Das Wesen der Pflanze lässt sich naturwissenschaftlich nicht vollständig erfassen – es gibt erkenntnistheoretische Grenzen. Nur wenn der Mensch sich auf das eigenständige Sein der Pflanzen einlässt, entwickelt er Fähigkeiten, Pflanzen neu zu verstehen. Dies aber erfordert, für wissenschaftliche, philosophische, emotionale, ästhetische, intuitive, religiöse und andere Wissenszugänge offen zu sein.“ Die Thesen beruhen auf einer klaren philosophisch-ethischen Grundhaltung: Alles, was lebt, soll nicht vorweg auf seinen Nutzen für die Menschen betrachtet und bewertet werden. Zunächst soll es darauf hin untersucht und verstanden werden, was es von sich aus und für sich selbst ist.

Anspruchsrechte der Pflanzen

Mit der Formulierung von Anspruchsrechten für Pflanzen auf Grund dieser Thesen betraten die Autoren dann Neuland. Sie forderten Recht auf Fortpflanzung, Eigenständigkeit, Evolution, Überleben der eigenen Art, respektvolle Forschung und Entwicklung sowie das Recht darauf, nicht patentiert zu werden. Aus diesen Rechten folgt jedoch nicht, dass Pflanzen nicht mehr gegessen oder in anderer Weise genutzt werden dürfen. Trotzdem lösten die Thesen und die Forderung der Rechte eine hitzige und nicht immer sachliche Diskussion aus. Es folgte 2011 im Auftrag von Bio Suisse, dem Dachverband der Schweizer Bio-Produzenten, noch eine Formulierung weiterer Richtlinien hinsichtlich ökologischer Pflanzenzüchtung. 2015 erschien von der Projektinitiatorin Florianne Koechlin das Buch „Jenseits der Blattränder“ im Lenos Verlag Basel, und dann wurde es, zumindest in den Medien ruhig um das Thema. War es noch zu früh, Pflanzenrechte zu fordern?

Aktueller Buchmarkt

Ich denke nicht. Die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zeigen, dass die Zeit langsam reif wird. Der Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben vermag mit seinen Büchern, Filmen und Vorträgen eine breite Masse vorerst nicht so Pflanzenbegeisterter anzusprechen und für das Thema zu sensibilisieren. Sein 2005 erschienenes Buch „Das geheime Leben der Bäume“ polarisierte zwar die Fachwelt, den Lesern gefiel es. Zahlreiche weitere populärwissenschaftliche Bücher folgten, die die wunderbare Welt der Bäume und des Waldes thematisierten.

Auch der italienische Pflanzenforscher und Autor Stefano Mancuso vermag, mit seinem Schreibstil seine Leser zu fesseln und in den Bann der Pflanzen zu ziehen. Er polarisiert nicht minder. In seinem Buch „Die Pflanzen und ihre Rechte“ startete er das Gedankenexperiment, was wäre, wenn die Erde von der Nation der Pflanzen regiert werden würde. Wieder sehr anthropozentrisch – damit es der Leser verstehen kann – formuliert er angelehnt an die Menscherechtscharta bzw. die Säulen der Weisheit, eine „Pflanzenverfassung“, die als Vermittler zwischen ihrer und unserer Welt dienen soll. Sie basiert auf den allgemeinen Prinzipien, die das Zusammenleben der Pflanzen regeln. Doch die darin festgelegten Normen betreffen alle Lebewesen. Natürlich kann niemand wissen, was Pflanzen wirklich wollen, aber 450 Millionen Jahre Pflanzenleben auf unserem Planeten haben gezeigt, dass sie zumindest nachhaltiger mit den Ressourcen umgehen als der Mensch in seinen gerade einmal 300.000 Jahren auf der Erde. Mancuso beschreibt den Menschen als unangenehmen und lästigen Mieter der Erde, der in völliger Unkenntnis der Gesetzmäßigkeiten, nach denen Lebensgemeinschaften auf der Erde funktionieren, lebt: „Wir sind Neuankömmlinge auf dem Planeten und verhalten uns wie Kinder, die gefährlichen Unsinn anstellen, ohne den Wert und die Bedeutung dessen zu erkennen, womit sie herumspielen.“

Rechtsanspruch?

Sollen nun Pflanzen Rechte bekommen? Auch wenn sie in unserer menschengeprägten Kultur die Kriterien für ein Rechtssubjekt noch nicht erfüllen, finde ich persönlich, dass es höchste Zeit ist, sie ihnen zu gewähren. Egal, ob sie Seele oder Verstand habe, leiden oder sich erinnern können, einfach ihrer selbst willen. Weil sie leben und großartige Geschöpfe sind.

Lassen Sie mich Ihre Meinung dazu wissen: ek@oegg.or.at.

Elisabeth Kalous, ÖGG, Pflanzenlobbyistin